Martinique nach Helgoland

20. Juni 2020

Einhand und nonstopp von Martinique nach Helgoland, 42 Tage und 5130 sm.

 

Um 11:30 Uhr habe ich heute die Leinen im Südhafen von Helgoland festgemacht und dabei meinen bisher längsten Schlag erfolgreich beendet. Die Fahrt ist über weite Strecken ein seglerischer Hochgenuss, immer eine navigatorische Herausforderung und in den hohen Breiten des Atlantiks manchmal auch ein wenig hart gewesen.

 

In der angenehmen Wärme der Karibik hieve ich am 10. Mai in der Bucht von Saint-Anne auf etwa 14,5 Grad nördlicher Breite den Anker und setze die Segel Richtung Heimat. In den ersten Tagen bin ich noch in der Passatwindzone und mache gute Fahrt nach Norden. In der Nähe der Bermudas naht Sturmtief Arthur und ich muss für Tage auf Ostkurs unterhalb des 32. Breitengrades bleiben, um nicht die volle Wucht abzubekommen. Arthur holt mich dann ein. Ich bin im Auge des Tiefs und es ist fast windstill bevor es los geht, die berühmte Ruhe vor dem Sturm. Als der Wind aufkommt, setze ich die Segel. Unglücklicherweise verhakt sich die Genua an einer der Maststufen und reißt bei 15 kn Wind am UV-Schutz des Achterlieks lang auf. Damit ist sie hin und genau an der Stelle gerissen, die ich beim Segelmacher auf Lanzarote extra habe verstärken lassen. Das muss ich mir noch einmal in Ruhe anschauen, denn so einfach hätte sie nicht reißen dürfen. Die andere Genua ist bei schwankendem Vordeck und zunehmender Welle in einer 3/4 Stunde aufgezogen, und diese Genua ist zum Glück die bessere.

 

Arthur bringt strammen Nordostwind mit bis zu 32 kn und Wellen von 5 m, am Anfang noch leicht gestaucht durch eine dagegen stehende Dünung aus Südwesten. Ich wähle einen Am-Wind-Kurs, da ich weiter nach Norden möchte und erziele etwa Nordwest. Die Segel sind so klein wie möglich gesetzt und die Parameter des Autopiloten auf harte Bedingungen eingestellt. Die Jambo wird in dieser Nacht von Wellern bombardiert und überspült wie niemals zuvor. Und ich dachte, ich hätte schon viele extreme Situationen erlebt, aber hier wird es in dieser Hinsicht noch einmal übertroffen. Ich schlafe in dieser Nacht zwar nicht gut, aber doch wesentlich besser als in allen Flautennächten danach, da ich nichts tun muss und weiß, dass die Jambo das kann und macht.

 

Danach liegt das erste riesengroße Hoch vor mir. Noch den letzten Windhauch ausnutzend segle ich hinein und genauso auch wieder hinaus. Dazwischen liegen 30 Motorstunden. Anschließender Nordostwind bringt mich nach Westnordwest, wo schon das nächste Hoch mit seiner Flaute lauert. Dieses umfahre ich dann weit im Westen und komme mit etwa 10 Motorstunden durch. Dann bin ich fast auf 40. Grad nördlicher Breite in der ersehnten Westwindzone, nur leider schläft der Westwind ein und ich kann noch so gerade auf nördlichen Kurs gehen, um vor dem nächsten herannahenden Hoch mit seiner Flaute zu entfliehen.

Neufundland liegt mittlerweile recht voraus. Bis zum Fuß der Great Banks muss ich bis zum ersehnten Kurswechsel segeln. Im kalten Labradorstrom und in dichtem Nebel, vor Kälte zitternd ändere ich die Segelstellung und kann endlich auf östlichen Kurs gehen, um mich dem Hoch zu stellen, welches mittlerweile im Osten in nördliche Richtung zieht. Nach so vielen Tagen, fern ab vom Kurs und fast in Neufundland ist dies der Wendepunkt und für mich wohl der tiefgreifendste Moment der ganzen Fahrt, unvergesslich, und, wenn ich mich so wie jetzt nur daran erinnere, packt mich das schon wieder sehr heftig.

 

Ich bin so weit im Nordwesten, dass ich mich in einem Seegebiet befinde, in dem es tatsächlich Ende Mai eine kleines Risiko gibt, auf Eisberge zu treffen, die im kalten Labradorstrom weit nach Süden treiben. Das Radar läuft mit Guard-Zone-Alarm für die nächsten 2 Tage mit. Auf Ostkurs falle ich dem Hoch mit perfektem Timing quasi in den Rücken und komme ohne Motorstunden durch auch Dank des mittlerweile erreichten Golfstroms. Danach geht es auf Ostnordostkurs und damit endlich auch einmal mit direktem Kurs zum Ziel. Der Nordatlantik ist auch hier ungewöhnlich windarm und mehre Hochdruckkerne machen das Segeln zu einer navigatorischen Herausforderung.

Ich befinde mich nun auf der sogenannten Großkreisroute. Diese ist eine der klassischen Segelrouten zwischen der Ostküste der USA und Europa. Es gibt 3 Zweige. Der südliche führt zum Ärmelkanal, der mittlere nach Irland und der nördliche an Schottland vorbei.

 

Ich hatte diese Fahrt als nonstopp Fahrt geplant. Anke und ich wollten uns zwar ursprünglich auf den Azoren treffen, aber schon vor Fahrtantritt sah es aufgrund der Corona-Krise eher unwahrscheinlich aus, dass das klappen würde. Also hatte ich von Anfang an den Kurs Richtung Großbritannien gesetzt. Mitten auf dem nördlichen Nordatlantik nach ein paar Tagen auf Nordostkurs, den Windfeldern folgend und die Flauten vermeidend, stehe ich am Scheideweg und muss mich entscheiden, ob ich nördlich oder südlich an Großbritannien vorbei fahren soll. Ich wähle die Route um Schottland herum, denn das möchte ich gerne segeln. Ich werde wahrscheinlich nie wieder die Gelegenheit haben, den nördlichen Zweig der Großkreisroute zu segeln. Also setze ich den Kurs zu den Hebriden ab. Natürlich gibt es neben meiner persönliche Präferenz auch andere Gründe, die für diese Route sprechen. Für mich als Einhandsegler auf einer Nonstopp-Fahrt ist der englische Kanal mit seinem Verkehr, seiner Enge und den Strömungen nur zweite Wahl. Auf der nördlichen Route bis Schottland ist freies Wasser und natürlich deutlich weniger Verkehr, was einen erleichterten Schlafrhythmus erlaubt. Aber im Juni ist es natürlich auch kalt in den hohen Breiten des Nordatlantiks und ganz besonders für den Segler, der vor ein paar Wochen noch das warme Klima der Karibik genossen hat und dessen Bordheizung leider defekt ist.

 

Auf Kurs Nordost bis Ost geht es weiter und nach wie vor bestimmt Hochdrucklage das Wind- und Wettergeschehen. Windfelder und Flauten ziehen auf unterschiedlichen Kursen durch. Es ist wie ein sich ständig bewegendes Labyrith, in dem nur der Ausgang feststeht, in meinem Fall die Hebriden. Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass ich nach dem Hochdruckgürtel zwischen den Bermudas und Azoren erst meist Westwind und später wechselnde Winde haben würde. Für die Windvorhersage habe ich nur mein Garmin inReach Mini dabei, womit ich für 2 Tage eine Vorhersage an jedem beliebigen Punkt abrufen kann. Im Nachhinein völlig unzureichend für diese Verhältnisse, bei denen schon viel früher als nur 2 Tage der Kurs strategisch richtig abgesteckt sein muss, um durchzukommen. Zum Glück kann ich übers inReach auch Textnachrichten bekommen und die Community hilft mir mit so vielen Tipps, wichtigen Informationen und vielen guten Wünschen.

 

Die Unterstützung durch so viele Menschen, die ich fast alle persönlich nicht kenne, ist tatsächlich einer der Erfolgsfaktoren dieser Reise. Meine Hauptstützen sind natürlich neben Anke, Chris von der SY Quick, absoluter Hochdruckzugbahn-Experte, Christoph Feld aus Siegen, Routenspezialist, Arno von der SY Elas, Strömungsexperte, Greg aus Wien, Eisbergspezialist, der mich mit seiner ganz besonderen Art immer aufbaut, und Tim aus Oldenburg, der mir Infos zu Helgoland schickt und einen Tisch im Rickmers reserviert und natürlich Trans Ocean mit täglichen Updates zur Großwetterlage, an dessen Rolling-Home-Initiative ich teilnehme.

Aber es gibt noch so viele andere Mike, Jörg, Dieter... Ich kann leider nicht jeden einzeln aufzählen. Mit so viel Unterstützung und Anteilnahme kann es natürlich nicht schief gehen und so komme ich tatsächlich im Nachhinein ausgesprochen gut über den Nordatlantik und mit nur weiteren 8 Motorstunden bis zu den Hebriden. Allein das ist schon fast unglaublich bei der Wetterlage. Zuhause werden fleißig Screenshots gemacht, damit ich es hinterher nachvollziehen kann.

Dann sehe ich das erste Mal seit langer Zeit Land. Es ist die den Hebriden vorgelagerte Insel Eilean A'Ghoba. Das löste bei mir gar kein besonderes Gefühl aus. Da ist halt ein großer Felsen im Nebel. Die Seekarte stimmt. Kurze Zeit später pingt mein Handy und es gehen nach 5 Wochen ohne Netz unzählige WhatsApp-Nachrichten ein. Mobilfunknetz! In modernen Zeiten löst das die wahren Glücksgefühle aus. Ich bin ganz aus dem Häuschen und meine Lebensgeister laufen auf Hochtouren. Ich bin in der Zivilisation! UKW-Radioempfang geht auch schon! Endlich ist dann die Verbindung so stabil, dass ich Anke das erste Foto schicken kann. Kurze Zeit später klappt nach vielen vergeblichen Versuchen auch der erste Telefonanruf mit Anke. Die Glücksgefühle sind unbeschreiblich. Wir freuen uns beide sehr und sind überglücklich.

Aber ich habe noch ein gutes Stück vor mir und konzentriert geht es weiter an der Nordküste Schottlands vorbei, mittlerweile auf fast 58,5 Grad nördlicher Breite und ich komme von 14,5 Grad Nord. Das ist ein Unterschied von 44 Breitengraden und fast unglaublich. Es ist immer noch sehr kalt und wie so oft in den letzten Wochen habe ich bei laufender Maschine meinen Inverter und mein kleines elektrisches Heizöfchen mitlaufen. Diesmal geht es schief und kurze Zeit später brennt der Batteriehauptschalter zum Spannungswandler. Aber ich kann den Brand schnell mit der Löschdecke im Keim ersticken. Zum Glück! Hier wird mir klar vor Augen geführt, wie schnell man sein Schiff durch Feuer verlieren kann. Ich komme mit dem Schrecken davon und habe jetzt auch keine Zeit, viel darüber nachzudenken, denn die nächste Herausforderung liegt schon wieder vor mir: die Fahrt durch den Pentland Firth. Dies ist eine Meerenge zwischen der schottischen Nordküste und den Orkneyinseln, besonders berüchtigt für Strömungen von über 10 kn, brechenden Gezeitenwellen und Turbulenzen. Ich will es trotzdem wagen. Zwar ist Springzeit, aber die anderen Umstände sind sehr günstig, denn es ist Flaute und mein Timing sollte perfekt sein. Mit leicht gegenläufigem Strom geht es hinein.

 

Dann habe ich Island of Stroma an Steuerbord querab. Die Sonne scheint seit langer Zeit endlich einmal wieder und es ist nicht mehr so kalt. Eingebettet in das Blau des Himmels und des Wassers liegt diese Insel dort mit weißem Leuchtturm, brauner Steilküste, an der die Gischt der See hell und weiß hoch spritzt, oben darauf sind grüne Wiesen und ein paar Häuser. Für mich ist es ein grandioser Anblick und ich bin total überwältigt, wahrscheinlich weil mir ein solcher Anblick für Wochen verwehrt gewesen ist.

Weiter geht es hinein in die berüchtigte Meerenge. Plötzlich ist das schöne Wetter fort und von einem Moment zum anderen macht sich dichter Nebel breit und die Sichtweite beträgt nur noch 30 m. Zur Sicherheit schalte ich das Radar ein und tatsächlich es gibt zwei Schiffe, die ohne sendendes AIS hier fahren, sich aber zügig die aus meiner Kurslinie bewegen, irgendwie haben sie mich wohl auf dem Schirm. In der Ferne höre ich das Nebelhorn eines Frachtschiffes. Der Strom läuft mit 2 kn mit und es wird nicht mehr. Mein Timing ist wohl doch sehr konservativ gewesen. Dann ist der Nebel fort, ich bin aus dem Pentland Firth raus und in der Nordsee, die mich mit spiegelglattem Wasser begrüßt. Immer noch herrscht Flaute, aber ein Gefühl von Heimat macht sich breit, auch wenn es noch fast 500 sm bis Helgoland sind.

 

Helgoland hatte ich zwischenzeitlich als Endziel gewählt, denn für mich gibt es kein würdigeres Ende dieser Fahrt als diese Insel. Auf der Nordsee muss ich mich sehr schnell daran gewöhnen, dass die Verkehrsdichte viel höher ist als zuvor auf dem Atlantik und dass Tonnen, Windparks, Öl- und Gasplattformen auf meinem Kurs liegen. Entsprechend passe ich meine Schlafintervalle an. Dann liegt drei Tage später Helgoland voraus, noch ganz klein in der Ferne. Das Ziel meiner Reise ist zum Greifen nah. Nach weiteren 3 Stunden Fahrt laufe ich überglücklich in den Südhafen ein, wo mich Bert und Marlene von Tans-Ocean begrüßen, worüber ich mich sehr freue.

Was für eine Fahrt! Von Martinique nach Helgoland, 5130 sm und dabei den Nordatlantik diagonal wahrscheinlich an einer seiner weitesten Stellen und auch 44 Breitengrade überwunden! Innerlich muss ich jedoch erst noch ankommen und alles sacken lassen. So schnell geht das wohl nicht.

 

Aber das wohlverdiente karibische Anlegerbier schmeckt auch nach 6 Wochen. Ich melde mich in den nächsten Tagen mit einem weiteren Update. Heute Nacht kann ich seit langer Zeit wieder einmal ohne Unterbrechungen schlafen.